Julia Gottschalk, Klasse 11, Gymnasium Carolinum Neustrelitz
Liebe - eine kalkulierbare Emotion?
Eine Mutter, die ihr Kind freudig in die Arme schließt, junge Liebende, die sich mit zärtlichen Blicken streicheln oder ein Ehepaar, bereits im hohen Alter, welches händchenhaltend und mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck die Straßen entlang spaziert - diese Gesten sind es, die uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern und uns Hoffnung suggerieren, die uns zeigen: "Schaut her! Überzeugt euch mit eigenen Augen - sie existiert noch, die Liebe, die uneigennützig etwas für den anderen gibt und nicht nach einem angemessenen Mindestlohn fragt, sondern durch völlige Selbstaufgabe nur das Beste tut!" Dieser Erkenntnis folgt nun ein Purzelbaum der Seele - da ist auf der einen Seite die Freude darüber, dass das Verlorengeglaubte doch nicht verloren scheint und dass eine nie versiegende Lebensquelle in Zeiten des Werteverlustes nichts an Macht eingebüßt hat. Doch auf der anderen Seite breitet sich Unsicherheit aus. Vor dem Hintergrund einer kalten, lieblosen Welt, die wir aus Selbstschutz nicht an unser Inneres heran gelassen haben, machen wir uns auf die Suche nach unserem Herzensschlüssel, dessen Versteck wir so ausgewählt haben, dass es uns partout entfallen ist. Wie ist es uns nun möglich, Liebe anzunehmen? Und, gehen wir noch einen Schritt weiter, einem anderen Menschen Liebe zu geben? Wie entsteht Liebe und ist das in unserer heutigen Zeit überhaupt noch ein aktuelles Thema? Forscher haben herausgefunden, dass sogar schon in der frühen Steinzeit innerhalb der Sippen eine gewisse Zuneigung praktiziert wurde. Trotzdem die Nächstenliebe erwiesenermaßen eher evolutionäre Kosten verursachte und Egoisten immer ein leichteres Leben führten, ist dieser größte Wert der Menschheit bis heute erhalten geblieben. Im Neuen Testament der Bibel wurde die Thematik erneut aufgegriffen und beispielsweise im „Hohelied der Liebe" verarbeitet, während es im höchsten Gebot Jesu von der Nächstenliebe seinen Höhepunkt fand. Die Liebe ist also ein Wert, der die Menschen seit jeher bewegt, wonach sie ein Leben lang streben und für den sie das, nach menschlichen Maßstäben festgelegte, "Unmögliche" vollbringen. Fragt man eine Mutter, woher sie die Liebe für ihre Kinder aufbringe und ob die Herzenswärme, die sie einem einzelnen Sprössling entgegenbringt, nicht weniger werde, wenn sie diesem ein Geschwisterchen schenke, wird man nur einen verständnislosen Blick ernten. Ebenso wird die Reaktion sein, spricht man mit einem "goldenen Paar" über das Erfolgsrezept ihrer Ehe. Den einzigen Satz, den man diesem entlocken kann, ist: "Es bedarf eines gegenseitigen Gebens und Nehmens." Nun ja, für das Nehmen hat uns die Gesellschaft schon ausreichend geprägt, kaum jemand hat heute noch ein Problem damit. Doch beginnen wir sofort damit, alles um jeden Preis an uns zu raffen, schöpfen wir aus einem leeren Behältnis. Es bleibt also nichts anderes übrig, als die Kehrseite der Medaille zu betrachten und einzusehen, dass Liebe ein Startkapital benötigt. Sogleich nimmt der scharf arbeitende und alles abwägende Verstand ein hohes Risikopotenzial wahr. Weshalb sollte ich so ein Geschäft eingehen? Warum mich in eine Sache versteigen, über deren Ende ich noch im Unklaren bin? Dächte jeder Einzelne in diese Richtung, könnten keinerlei Partnerschaften und feste Bindungen entstehen, würde die Welt aus dem Ruder laufen und der Mensch nicht mehr glücklich werden. "Liebe wird aus Mut gemacht" lautet die Textzeile eines Millionenhits. Und damit wird ein zentrales Problem angesprochen und charakterisiert: Jemanden lieben heißt, bewusst in Vorschuss gehen, etwas Unklares zu beginnen und eventuell auch zu scheitern. Wer liebt, öffnet sein Innerstes, macht sich verletzlich und angreifbar, entblößt seine Seele und zeigt sein wahres Gesicht. All das sind jedoch Werte, die von einer Wissensgesellschaft, für die nur der knallharte Fakt und das kalte Funktionieren sowie ein messerscharfer Verstand zählt, völlig verachtet und belächelt werden. Sollte man also lieber "auf Probe" lieben? Sein Herz an einem Gummiband befestigen, es einem halbwegs passablen Menschen nahe legen und wenn es nicht ganz so läuft, wie man es durchgeplant hatte, einfach den Gummizug betätigen und das Herz saust wieder zurück an seinen angestammten Platz? Wäre das nicht praktisch - kein Liebeskummer und Herzschmerz mehr? Würde auf diese Weise nicht der Wunsch stärker werden, sich zu binden? Die Angst vor einer Zurückweisung, einer Enttäuschung, wäre nicht mehr so groß und eine Verminderung der Hemmung gegenüber dem Nächsten könnte erfolgen - ein viel lockereres Miteinander wäre geschaffen? Doch ist es nicht gerade das Risiko und der Mut, der die Liebe erst zur Liebe macht? Könnte man sonst Gefühle in ihrer ganzen Bandbreite erleben, von höchstem Glück bis abgrundtiefem Schmerz? Hätte man sonst die Möglichkeit, die intensive, alles füllende Emotion von Liebe zu erleben, wäre man sonst in der Lage, die menschlichen Grenzen zu überwinden? Liebe ist anatomisch nicht feststellbar, von jedem wird sie anders empfunden, doch hat sie immer erst ein Zuhause, in dem, den sie liebt. Haben wir also Mut zu lieben, dem anderen Zuneigung entgegenzubringen und unseren Egoismus zu besiegen! Scheint dieser Weg auch oftmals sehr schwierig und sind wir doch Menschen, die von Zweifeln geplagt werden- können wir doch nur auf diese weise die Liebe erringen, die wir uns so sehr wünschen. Denn Liebe baut auf, einmal den anderen, dann die Beziehung, später die eigene Person und schließlich das Leben. Ein Sprichwort sagt dazu: "Liebe, als wärst du nie verletzt worden!" Seien wir stark und setzen uns über allen Verlust und alle Enttäuschung hinweg. Denn " wer kann schon ohne Liebe sein"?